HUBERT LOBNIG
GEMEINSAME SACHE, Reinsberg

1999








Gemeinsame Sache

Leo Kandl, Johann Moser, Constanze Schweiger, Rudolf Weidenauer und Moira Zoit, Iris Andraschek und Hubert Lobnig (Texte: Christian Rapp)

Reinsberg, in der Nähe von Gresten, ist eine Gemeinde mit verschiedenen Geschwindigkeiten und Ausdehnungen. Beim schnellen Durchfahren umfängt einen die Geborgenheit einer Nachkriegssommerfrische: Malerisch eingebettet in eine hügelige Landschaft, mit vielen grünen Wiesen und Mischwald, Schafen und Rindern und Einzelhöfen in sonnigen Lagen. Bei ausführlicheren Streifzügen läßt sich aber auch ein anderes Reinsberg wahrnehmen, das durch intelligente Dorferneuerungsprojekte, durch Selbstvermarktung biologischer Produkte und ungewöhnliche Kulturprojekte seine geschlossene Lage zu überwinden versucht. Fast alljährlich gibt es Künstlersymposien, Skulptureninstallationen, Ausstellungen, Musik- und Literaturfestivals, die Musik aus den Andenländern ebenso einschließt wie Monodramen von Fjodor Dostojewksi. Über all dem steht, gleichsam als schützender Schirm die mittelalterliche Burgruine, die von den Reinsbergern in jahrelanger Arbeit eigenhändig instandgesetzt und als gemeinsames Kulturforum reaktiviert wurde. Als Abschluß dieses Prozesses wurde vor kurzem die unkonventionelle Burgarena eingeweiht, über der ein kreisförmiges Zeltdach schwebt, das von einem ausgedienten Autokran getragen wird. Nicht überall stieß die extrovertierte Architektur von Johannes Zieser im Ort auf Verständnis und nicht von allen wird die dynamische Aktivität der Kulturveranstalter mit gleicher Emphase mitgetragen, doch die überregionale Aufmerksamkeit ließ auch manche Skeptiker auf das neue Wahrzeichen stolz sein.     
In diesen Ort der Ungleichzeitigkeiten zwischen wirtschaftlichen und kulturellen Offensiven und traditioneller Behäbigkeit, zwischen Selbsthilfeaktionismus und Strukturschwäche plazierten Hubert Lobnig und Iris Andraschek ihr Projekt ”Gemeinsame Sache”. Gemeinsam mit den KünstlerInnen Leo Kandl, Johann Moser, Constanze Schweiger, Rudolf Weidenauer und Moira Zoitl  haben sie sich einige Wochenenden lang im Dorf niedergelassen und sich mit den Menschen, mit dem öffentlichen Leben und den lokalen Institutionen befaßt. Sie recherchierten die sozialen Alltage ebenso wie die Topographie der touristischen Selbstdarstellung: Reinsberg an der Eisenstraße, Reinsberg im Mostviertel, das Reinsberg der Biolandwirte, Reinsberg als Kulturdorf.
Der Titel des Projekts kann in zwei Richtungen interpretiert werden. Einerseits als Ausdruck der regen kommunalen Aktivitäten, als Formel eines Brückenschlags zwischen Gastgebern und Gästen, andererseits als Hinweis auf das Ein- und Ausgrenzen innerhalb des sensiblen Mikrokosmos eines kleinen Ortes. Die ”Gemeinsame Sache” pendelt gewissermaßen zwischen Formen der Kooperation und Formen der Konspiration. Als Außenstehende und Ortsfremde mußten sich die KünstlerInnen selbst erst an private Handlungsfelder herantasten. Zwar waren interessierte Reinsberger von früheren Projekten her auf die Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Skulpturen vorbereitet, nicht aber auf Künstler, die beabsichtigten, sie selbst in den Produktionsprozeß als Auskunftgeber, als Mitveranstalter, als Zeugen und als Protagonisten zu involvieren. Um sich und den Bewohnern einen Kommunikationsort einzurichten, adaptierten die Künstler zunächst ein leerstehendes Kaufhaus im Zentrum. Von diesem aus nahmen sie ihre Sondierungstouren in den Ort und seine Umgebung auf. Entstanden sind sieben zum Teil temporäre Arbeiten, denen aber der Prozeßcharakter gemeinsam ist. Die Beobachtungen und Gespräche mit den Einheimischen und untereinander, die Auseinandersetzung mit eigenen lebensgeschichtlichen Erfahrungen im ländlichen Raum waren bereits Teil der künstlerischen Produktion.
Direkt im Projektbüro hat Moira Zoitl eine zweiteilige Videoarbeit eingerichtet, die von zwei wichtigen Koordinaten der landschaftlichen Aneignung ausgeht. In einem Videofilm mit dem Titel "Das optimale Gewinnminimum" spürt sie den sichtbaren und verborgenen Machtverzweigungen der Raiffeisen – Genossenschaft nach und legt diese mit künstlerischen Strategien offen. Interviews, Inserts und persönlichen Wahrnehmungen kreisen beinahe spiralenförmig die  Raiffeisen-Geschichte ein, bis hin zu deren Reinsberger Filiale, die ideeller Ausgangspunkt und Schlußpunkt zugleich, auf kleinstem Raum noch einmal dessen gesamte ambivalente Ideologie verkörpert. Obwohl sich der Film scheinbar im Genre der TV-Reportage bewegt und sich vertrauter dramaturgischer Elemente bedient, sind es die Verfremdungen, die subjektiven Exkurse, die Regelverstöße, die auf verblüffende Weise Gesten und Insignien der Macht aber auch der Ohnmacht sichtbar werden lassen. In einem zweiten Video inszeniert sich die Künstlerin als Sporttouristin, radelt als Mountainbikerin über die Berge und montiert in diese Aufnahmen die Aufzeichnungen einer professionellen Rennveranstaltung. Zoitl schlägt also einen weiten Bogen von den Bildern der ökonomischen Aneignung zu jenen der körperlichen Verausgabung, vom Produktivitätsdogma zum Erlebnisdogma, thematisiert aber eben jene Allianzen, die den ländlichen Raum so raffiniert in die Zange nehmen. Beide Dogmen können sich ja deshalb so ungestört ausbreiten, weil sie sich zwar als naturverbunden und rustikal tarnen, faktisch aber völlig entkoppelt haben von der Landschaft, die sie okkupieren.
Entlang des kulturellen Importes, der sich unabhängig von Erwartungen und Bedürfnissen eines lokalen Publikums standardisiert, läßt sich die Performance von Rudolf Weidenauer beschreiben, der einen Abend für die örtliche Dorfbühne arrangierte und dafür einen ortsfremden Zauberkünstler engagierte. Auf einer grell ausgeleuchteten Bühne, die auch Uneingeweihte kaum über die Tricks und Täuschungen im unklaren ließ, absolvierte der semiprofessionelle Zauberer ungerührt sein Programm, in das er das Publikum immer wieder einbezog. Das Motiv der Begegnung zwischen Einheimischen und Fremden kehrt hier als theatraler Akt wieder - oder gar als polemische Replik auf den Status des Künstlers, von dem oft das erwartet wird, was Weidenauer an einen Kollegen aus einem anderen Fach delegiert hat: Das Publikum zu irritieren, zu unterhalten, zu ergötzen. Auf alle Fälle resümierte Weidenauer mit der Idee des Wandertheaters, was das Projekt trotz aller Kooperationsabsichten, die der Titel suggeriert, auch gewesen ist: Ein Gastspiel.
Am weitesten in die Umgebung der Ortes breitete sich die Arbeit von Iris Andraschek aus. Sie affichierte auf öffentlichen Plakatflächen, auf eigens gefertigten Tafeln an Straßenrändern sowie in einem Stallgebäude eine Serie von Fotoarbeiten, deren Sujets sie mit den Laienschauspielern der örtlichen Theatergruppe und freiwilligen Akteuren erarbeitete. Mehrere unterschiedliche Dramaturgien greifen hier ineinander: Die des Parcours, der vom Ortszentrum über die Hauptstraße und und über Forstwege auf einen hochgelegenen Bauernhof führt und in dessen Rinderstall seinen Höhepunkt erreicht und die befremdlicher Storyboards, die die Betrachter im unklaren lassen, ob sie einer Geschichte folgen oder von ihr verfolgt werden. Rund um die glamourösen Lichtspiele einer Diskokugel baumeln im Stall Fotobücher von der Decke, in einer anderen Stallecke dampft es aus einem mit Äpfeln gefülltem Kunststoffkübel. Es scheint, als hätte hier, zwischen Heu und Holzverschlägen, ein rätselhaftes Ritual stattgefunden, dessen Requisiten sich verselbständigten und nun ihre eigenen Erzählungen verbreiteten. Es sind Bilder von Menschen in alltäglichen Situationen, teilweise mehrfach gespiegelt, farblich verfremdet, die trotz ihrer Harmlosigkeit den Betrachter nach Indizien, Spuren und Zusammenhängen zu suchen veranlassen. Auch wenn die Fotos vorgeblich von Nahrungsmitteln, deren Verarbeitung und Zubereitung handeln, hat man das Gefühl, im Subtext der Serie auf recht verdächtige Rezepturen zu stoßen.
Den Prozeß der sozialen Interaktion zu prolongieren, die in "Gemeinsame Sache" zwischen Künstlern und Einheimischen initiiert wurde, hat sich Constanze Schweiger vorgenommen. Sie stellte fünf farbige Hängelampen her und übergab diese den Reinsbergern zum gemeinsamen Gebrauch an öffentlichen Orten. Damit verschränkt sie die Idee des Gastgeschenks mit der des sozialen Raums, der am Land immer noch eine Sache von Vereinbarungen ist. Der öffentliche Raum konstituiert sich oft nur vorübergehend, in einem Wirtshaus, in der Kirche, an der Kegelbahn, ohne einen eigens dafür ausgewiesenen Platz, aber dafür rund um wärmende, lichtspendende Quellen. Schweiger hat diese Synchronitäten zwischen Beleuchtung und temporärer Öffentlichkeit zum Anlaß eines künstlerischen Gegenmodells genommen. Der Lichtschein über dem Tisch, ein Basisrequisit ländlicher Behaglichkeit, ist hier gewissermaßen das Fluidum in einer Reihe von möglichen Beziehungsmustern, von neuen Öffentlichkeiten.  Die Lampen selbst sind eher ein Hybrid zwischen Objekt und Licht, zwischen  Skulptur und Laterne, die tagsüber und abends jeweils andere Gemeinsamkeiten stiften könnten.
Direkt in die Privat- und Arbeitsräume, in die “Interieurs” der Reinsberger drang Hubert Lobnig mit seiner Videoarbeit vor, die in einer Dorfschmiede zu sehen ist. Aus den zahlreichen Visiten entstand eine beachtliche Materialsammlung zur Bau- und Wohnkultur im ländlichen Raum. Lobnig beließ es aber nicht bei der Bestandsaufnahme, sondern montierte die Bilder von Scheunen, Wohnzimmern und Werkräumen sowie die Außenaufnahmen sämtlicher Häuser zu einer Endlosschleife, in der sich die räumlichen Grenzen und Zugehörigkeiten wieder verwischen. Die künstlerische Transformation des Materials bringt aber noch etwas anderes mit sich: Die Kamera vertritt nicht, wie man annehmen könnte, den Voyeur, sondern vielmehr den Flaneur, der durch die Räume zieht und sich vom Zufall und vom Gelegenheitsblick  führen und abschweifen läßt. Lobnigs Videoreise ist insofern prototypisch für “Gemeinsame Sache”. Aus dem Durch- und Ausleuchten, aus dem Ab- und Belichten entwickelten die KünstlerInnen eine ungewöhnliche Geographie des soziales Raums, die eben deshalb so aufschlußreich werden konnte, weil sie sich nicht von vorneherein auf die Art eines Ergebnisses festgelegt hat und die Notizen und Aufzeichnungen stets als Möglichkeit einer künstlerischen Praxis in das Werk einfließen ließ. Viele bewegten sich während ihrer Aufenthalte in Reinsberg entlang einer Art experimenteller Ethnologie, ehe sie sich für ein Medium und eine künstlerische Umsetzung entschieden.
Die vielleicht intimste Arbeit im Kontext einer solchen Ethnologie stammt von Johann Moser. Vom lokalen Porträt- und Hochzeitsfotografen ließ er sich in geliehenen Kostümen und Uniformen abbilden und stellte die Fotoreihe im Schaukasten des Gemeindeamtes aus: Johann Moser als Feuerwehrmann, als Musiker der Dorfkapelle, als Kirchgänger im Sonntagsstaat und als Privatmann im Jogginganzug. Moser greift einerseits die historische Praxis der Landfotografen auf, Menschen entweder vor Bühnenbildern abzubilden oder sie in Kleidungsstücke aus dem eigenen Kostümfundus zu stecken, aber er spielt auch auf die bis heute grassierende Maskierungsneurose an, wenn sich Besucher aus der Stadt an ihre Gastgeber anzubiedern versuchen, indem sie sich deren Embleme aneignen. Daß der Künstler die Milieus, in die er sich kleidet, aus eigener Kindheitserfahrung kennt, sich gewissermaßen zugleich als Fremder und Einheimischer in Szene setzt, daß er die Travestie an einer Stelle plaziert, wo man Werbeprospekte und Touristeninformationen erwarten würde, zeigt, wie schnell Identitäten und kulturelle Zugehörigkeiten durcheinandergeraten können, wenn es um den Zwang zur Repräsentation geht.
In unmittelbarer Umgebung, im Veranstaltungssaal des Gemeindeamts hat Leo Kandl seine Arbeiten ausgestellt, die die “Mosersche” Praxis gewissermaßen von der anderen Seite her aufrollen. Kandl bat die Reinsberger über Inserate, sich für Porträts bei ihm zu melden, die er zu einem festgesetzten Tag an einem Ort ihrer Wahl machen würde. So entstand eine Fotoserie, in denen die gewünschte Selbstdarstellung der abgelichteten Personen mit der künstlerischen Haltung des Fotografen jeweils erst vereinbart werden mußte. Daher ist nicht, wie der Titel der Arbeit unschuldig ankündet "Reinsberg im September” das eigentliche Thema der Fotografien, sondern die Verhandlungen zwischen den Akteuren, der Abtausch zwischen Gesten der Selbstdarstellung und der Fremdinterpretation. Kandls Arbeit zeigt darüber hinaus, welche mitunter ungewöhnlichen sozialen Dispositive aufgefunden werden können, wenn man sich auf ein fremdes Soziotop mit künstlerischen Strategien einläßt oder sich – plakativ gesagt – abseits vom globalen Dorf einmal mit dem realen Dorf als Metapher beschäftigt. Denn gerade weil jenes von denselben Technologien, von denselben wirtschaftlichen und sozialen Großtrends betroffen ist, werden in seiner scheinbaren Isolation, Verschiebungen im sozialen und kulturellen Gefüge deutlicher sichtbar und veränderte gesellschaftliche Praxen oft schärfer erfahren als in der gemütlichen Unübersichtlichkeit der Großstadt.

Orte auf Wanderschaft
Eine Reinsberger Skizze von Christian Rapp

Noch vor etwa 20 Jahren lag Reinsberg bloß in Niederösterreich, wo Ferien noch Ferien waren, und man hätte uns im niederösterreichischen Landesreisebüro eine Fremdenpension angeboten, festes Schuhwerk empfohlen und eine Wanderung durchs schöne Steinbachtal nahegelegt, "das fern von jedem Lärm, umgeben von grünen Bergen und darauf verstreut liegenden Bauernhöfen, so recht geschaffen ist für Feriengäste, die ihren Urlaub in ruhiger Umgebung voll landschaftlicher Schönheit und in gesunder, unverbrauchter Luft verbringen wollen." Auf gesunde Luft wird wohl auch heute noch hingewiesen, der "Urlaub in ruhiger Umgebung" hat in der Fremdenverkehrswerbung mittlerweile einen eher zweifelhaften Ruf. Seit den siebziger Jahren ist in vielen solcher Gegenden der Sommertourismus nicht zuletzt auch wegen dieser Losung in sich zusammengesunken. So persönlich und invididuell in der Erinnerung die Sommerfrische der Nachkriegszeit überliefert wird, war sie tatsächlich ein Standardprodukt, zusammengesetzt aus durchschnittlich ausgestatteten Zimmern, Standardmahlzeiten, verbindlichen Sperrstunden und Wanderwegen in schönen, aber mehr oder weniger austauschbaren Gegenden.

Ganze Regionen wurden, um dem Abwärtstrend zu begegnen, daher in den letzten Jahren von Tourismusmanagern auf die Suche nach spezifischen Identitäten geschickt, nach historischen Besonderheiten und originären Angeboten. Reinsberg ist auf diese Weise viel herumgekommen. In den frühen 80er Jahren übersiedelte es ins wanderbare Ötscherland, einige Jahre später ins Mostviertel und vor kurzem an die geschichtsträchtige Eisenstraße. Aus jedem seiner Aufenthalte hat der Ort einiges Gepäck an Agitationsmaterial, Wegweisern und Regionalitätskonstrukten in den nächsten mitgenommen. Die wechselnden Zugehörigkeiten sind typisch für strukturschwache Regionen, die sich nicht wie das Salzkammergut, der Arlberg oder der Wörthersee auf alte Trademarks, Fernsehserien und weitläufige Skihänge verlassen können, sondern ihre reizvolle Umgebung mit raffinierteren Mitteln und unter wechselnden Begriffen feilbieten müssen. Umso deutlicher lassen sich dort neue Strategien der touristischen Selbstdarstellung beobachten, die sorgfältige Schaffung von Lebensstilen, von Tätigkeitsprofilen, von Wahrnehmungs- und Erfahrungsarrangements.
So betrachtet es der Verein NÖ Eisenstraße als wichtigste Aufgabe, "daß die einzelnen Mitgliedsgemeinden ihren Wurzeln nachspüren, sie auffinden, auf ihnen wieder aufbauen und zum einzigartigen Individuum werden." Die Landschaft, an sich ein Gut mit geringem Marktwert, soll Teil eines Ensembles werden, das um konkrete Produkte und Erlebnisse herum angelegt wird. Die Reinsberger haben auf diese Forderung geradezu vorbildhaft reagiert, ihre lokale Geschichte durchforstet, ihre Wanderwege in Themenparcours verwandelt (Proviantweg, Grenz- und Mautwanderweg) und vor allem die auf einer Anhöhe gelegene Burgruine mit viel Engagement wieder hergerichtet. Vor kurzem wurde darin eine Theaterarena eröffnet und mit Theater und Musikaufführungen, mit Medienevents und Festen ein Programm erarbeitet, das mancher Bezirkshauptstadt zu Ehre gereichen würde. Wichtige Träger des neuen Reinsberg sind nicht zufällig die zahlreichen Biobauern, die sich mittlerweile zu einem Direktvermarkterring zusammengeschlossen haben und nun über einen gemeinsamen Wanderweg zu erschließen sind. Ihnen obliegt es, Landschaft gewissermaßen in "Kostbarkeiten" zu zu verzaubern, weil es eben tendenziell nicht mehr darum geht, dort gut zu essen, wo es uns gefällt, als vielmehr uns in jener Umgebung wohl zu fühlen, wo man gut essen kann. Biobauern agieren heute in vielen Regionen als Wirte, Veranstalter und als Dolmetscher, die die Herstellung von Nahrungsmitteln in distinktives Wissen und dieses in kulturellen Genuß übersetzen. Selbst Rohmilch und Dauerwürste können auf diese Weise zum Kulturgut zu werden, wenn Provenienz und Produktion in Geschmack umgewandelt werden kann. Im Prozeß dieser Landschaftsveredelung kam aber auch Kunstprojekten die Aufgabe zu, die touristische Geographie zu materialisieren und etwa den Themenimperativ der Eisenstraße begreifbar und begehbar zu machen. Große Skulpturen und Installationen aus Eisen wurden für die Burgruine und die Umgebung des Ortes konzipiert, eine Geomantin ermittelte die idealen Kraftlinien und Bezugsachsen.

Die Künstler von "Gemeinsame Sache" gehen von dieser Praxis demonstrativ ab. Vielmehr machen sie sich daran, hinter der touristischen Geographie die soziale Topographie, und hinter den Erlebnisdramaturgien die lokalen Alltage der ReinsbergerInnen zu thematisieren. Sie überraschten schon damit, daß sie ihre Operationsbasis nicht im herrschaftlichen Standort der Burgruine sondern im Ortszentrum anlegten und dort ein leerstehendes Kaufhaus adaptierten. Bei aller Sympathie für die Reinsberger Initiativen stellten sie sich nicht als deren Trendverstärker zur Verfügung, sondern griffen diese als Rahmenbedingungen auf, um Konstrukte von Regionalität eben dort zu untersuchen, wo einmal nicht der Gast, sondern der Gastgeber seine möglichen Bezugsfelder hat.

Fotos; Ralph Hoet, Hubert Lobnig


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