HUBERT LOBNIG
MY LIFE - MY RULES

2011














My life, my rules – Du sollst nicht rauchen!
My life, my rules – Du sollst nicht links parken!

Über Gespräche und Recherchen versuchen Iris Andraschek und Hubert Lobnig allgemeine und persönliche Regelwerke festzumachen, die das soziale Leben einer Gemeinde wie jenes von Weikendorf bestimmen. Was existiert an geschriebenen, was an ungeschriebenen, an äußeren und inneren, an fremdbestimmten und eigenen, an übernommenen oder selbst gestellten Regeln? Welche Regeln befolgen die BewohnerInnen einer Gemeinde, welche stellen sie sich selber in Zeiten von „Geiz ist geil“ und „Das Boot ist voll“.

Arbeitsmaterial der installativen Umsetzung im Kunstraum Weikendorf sind Vereinsregeln, Regelwerke der Freiwilligen Feuerwehr oder jene, die den Hausmüll, das Abwasser, das Baurecht, den Verkehr oder die Parkordnung betreffen aber auch solche, die sich aus dem römischen Recht oder der Religion ableiten wie z.B. die 10 Gebote, diverse Internetseiten und Blogs zu Lebensregeln und Vieles mehr. Die Ausstellung versucht auch zu ergründen, wie sich die Richtlinien der Menschen eines Dorfes und die sie vorgebenden,
maßgeblichen innergemeinschaftlichen Instanzen im Laufe der Geschichte formiert und verändert haben.

Regeln werden auf die Wände des Kunstraum Weikendorf affichiert und dienen als Hintergrund für Zeichnungen und Malereien rund um das Leben, die Geschichte und Geschichten des Dorfes. Das spezielle am Kunstaum Weikendorf ist, dass er von außen eine ländliche Ikonographie vorgibt, so tut als wäre er ein ganz normales Feuerwehrhaus im Dorf, von innen jedoch einer urbanen Ikonographie folgt, einem verallgemeinerten Ort, dem „White Cube“ gleicht, der überall und nirgends vor allem aber im Herzen großer, westlicher Städte stattfindet. 

Das Panoramafenster durchbricht die beiden Bedeutungen, öffnet den Kunstraum zur dörflichen Landschaft und schneidet in die Fassade des dörflichen Feuerwehrhauses ein Fenster in den urbanen Raum. Der Kunstraum Weikendorf entzieht sich im Dorf einer „normalen“ Funktion und wird für die Zeit der Ausstellung von Andraschek und Lobnig zur vermeintlich gesetzgebenden Instanz, zu einer Sammelstelle von sozialen (Verhaltens-) Regeln und damit zu einem Ort an dem sich Öffentlichkeit herstellen kann.

Iris Andraschek, Zeichnungen auf Papier und Glas
Hubert Lobnig, Malerei, Eitempera, Aluminiumpigment, Bitumen
auf Leinwand
Installation/Plakate/Text

 

Neonrote Signale                                                                          Martin Fritz, 2011    

Zur Installation „My Life – My Rules“ von Iris Andraschek und Hubert Lobnig im Kunstraum Weikendorf

Spätestens seitdem die kirchlich dominierten Ikonographien um die Darstellung von Alltagsszenen und Naturstudien erweitert wurden, zählen Darstellungen ländlichen Lebens und Portraits dörflicher und kleinstädtischer Gemeinschaften zum Kernbestand der Kunstgeschichte. Von Brueghel bis Spitzweg finden sich unzählige Beispiele dafür und auch diese historischen Beispiele beinhalten bereits jene Anteile an soziologischer Aufmerksamkeit und gesellschaftlichem Interesse, die in der Kunstentwicklung des späten 20. Jahrhunderts, etwa durch die Arbeiten von Stephen Willats oder Hans Haacke, den Anschluss an soziale, politische und soziokulturelle Praxen ermöglichten. Insbesondere für Projekte der sogenannten „Kunst im öffentlichen Raum“, ist die Bezugnahme auf die sozialen Realitäten am Ort der Präsentation eine der zentralen Verfahrensweisen geworden, nicht zuletzt um die verschiedenen Barrieren zwischen Projekt, Projektort und Rezeption durch lokale Anbindungen weniger spürbar zu machen.


Iris Andraschek und Hubert Lobnig sind – wie wenige andere – auf diese Bezugnahmen spezialisiert und konnten diese Expertise in zahlreiche Projekten außerhalb des Institutionsgefüges der Kunst überzeugend einbringen. Dabei führen ihre Projekte oft zu jenen Übergangszonen, in denen das Private zum Öffentlichen und somit zum Politschen wird. Ob sie dabei ihre eigene Lebensumgebung verändern (Tigerpark 1998), oder sich für alternative landwirtschaftliche Lebensformen in Österreich und Tschechien interessieren (Leben am Hof, 2005), ihre Aufmerksamkeit gilt immer sowohl der Darstellung heutigen alltäglichen Lebens, in jenen Räumen, die nicht im Zentrum mächtiger Aufmerksamkeitsmaschinen stehen.


Für ihr Projekt im Kunstraum Weikendorf wandten sich Andraschek/Lobnig direkt an die Bevölkerung des Ortes im ländlichen Umfeld Wiens, die mittels eines Inserats in der Gemeindezeitung gebeten wurde, über jene Regeln Auskunft zu geben, die für das Zusammenleben im Ort als notwendig erachtet werden, und/oder jene Normen zu formulieren, denen persönliche oder allgemeine Geltung zu kommen sollte. Im Detail wurde Auskunft erbeten über:


Regeln, die das soziale Leben bestimmen

Regeln, an die sich alle in Weikendorf halten sollen

Regeln, die Sie immer einhalten

Regeln, die Sie (eher) nie einhalten oder abschaffen würden

Regeln, die Sie als absolut überflüssig erachten

Regeln, die Sie persönlich als wichtig erachten

Regeln, die Sie sich selbst stellen

Ihre persönliche(n) Lebensregel(n)


Bereits die Schriftform der Antworten entfaltet ein Panorama des geordneten Lebens, mit einem starken Wunsch nach Ruhe und Sauberkeit im öffentlichen Raum, der häufig mit dem Wunsch nach sozialer Ruhe, Freundlichkeit im Umgang und der Forderung nach Teilnahme am Leben der Gemeinde einhergeht. Bereits vor der Umsetzung im Ausstellungsraum ist es Andraschek/Lobnig durch die in den Inseraten ausgedrückte Bereitschaft zum Zuhören gelungen, die lokale Gesellschaft „zum Sprechen“ zu bringen. Sie erweisen sich somit einmal mehr als respektvolle Besucher_innen, ein Rollenverständnis jenseits künstlerischer Machtansprüche, das eine der Grundvoraussetzungen für die Umsetzung partizipativer Prozesse darstellt.


Dennoch zeigt sich die Qualität und Relevanz künstlerischer Verfahrensweisen neben den notwendigen sozialen Kompetenzen auch bei partizipativen Projekten in den räumlich-formalen Lösungen, mit denen die Künstler_innen die Umsetzung und Vermittlung des Recherchierten unternehmen. Dabei ist es gerade für Andraschek/Lobnig kennzeichnend, dass Zeichnung, Malerei und Fotografie in der Präsentation gleichwertig neben die text- oder videobasierten Recherchen treten, und die Einzelelemente in eine Gesamtinstallation eingebettet werden, die zusätzliche Bedeutungsebenen erschließt. So auch in Weikendorf, wo der Kunstraum, selbst Ergebnis eines Kunstprojekts in einem ehemaligen Feuerwehrhaus, die Möglichkeit bietet, die Autonomiepotenziale eines urbanen „White Cube“ zu nutzen, während eine übergroße Fensterfront dazu beiträgt, das jeweilige Projekt auch im öffentlichen Raum des Ortes situieren zu können. Dieser Wirkungsmöglichkeit über den Raum hinaus wurde in der Installation durch die Verwendung eines Papiers in neonroter Signalfarbe entsprochen, auf welches die Fragen und die recherchierten Regeln in schwarzer Schrift kopiert wurden. Zugleich dienten die mit dem Papier tapezierten Wände als Träger für Malereien und Zeichnungen, die sich konkret auf Orte und Ereignisse in der unmittelbaren Umgebung bezogen. Die direkte künstlerische Einzelrecherche vor Ort, konnte somit stimmig die über die Umfrage gewonnenen Erkenntnisse ergänzen und vertiefen.


Das signalhafte Rot des Papiers – Medium der Wahl eines lokalen Druckunternehmens für unzählige Plakate von der Discoparty bis zum Ausverkauf – versah das Projekt jedoch mit einem weiteren Referenzrahmen, der seine volle Brisanz erst in jenem Moment entfaltete, als klar wurde, dass mitten unter den gesammelten Aussagen zum geregelten Zusammenleben auch eine handfest rassistische Aussage ihren Weg an die größere Öffentlichkeit gefunden hatte („Bitte STOP in Weikendorf für Türken. Sonst bekommen wir auch einen Ortstafelstreit. Statt Weikendorf – TÜRKISCH WEIKENDORF.“). Mit einem Mal erwies sich die künstlerische Intervention mit ihrer appellativen Farbgebung als notwendige Erweiterung des lokalen Kommunikationssystems, in dem – wie in zahlreichen anderen Kommunen – möglicherweise Defizite bestehen.


So konnte das Projekt das Bewusstsein dafür schärfen, dass die Verhandlung kommunaler Anliegen – neben den tradierten politischen Foren – wieder zur öffentlichen Verhandlung werden muss, auch und besonders dort, wo sie nicht nur einen trügerischen Wohlfühlkonsens zu Tage bringt, sondern Konflikte benennt und sich diesen (entgegen)stellt. Aus dieser Überzeugung heraus, war es gewiss nicht ohne Absicht, dass Andraschek/Lobnig die Statuten des „Club Weikendorf“ in ihrer Installation zeigten, eines in den 1980er Jahren aktiven Vereins zur Aktivierung des kommunalen Lebens vor Ort. Der Kunstraum Weikendorf, in unmittelbarer Nähe des Gemeindeamtes und trotzdem frei von eindeutiger Zuordnung, könnte ein idealer Ort für eine Wiederentdeckung und Neuaufnahme dieser Verhandlungsprozesse sein, und die in der Installation platzierten leeren Stühle luden genau dazu ein. Mit dem Projekt „My Life – My Rules“ von Andraschek/Lobnig könnte genau jener Moment  erreicht worden sein, an dem auch der respektvolle Besuch nicht das Thema wechseln darf und daraus jene Öffentlichkeit entsteht, die notwendig dafür ist, hör- und sichtbar über den aktuellen Zustand der Gesellschaft zu reflektieren.

 

Fotos: Wolfgang Wössner 


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