HUBERT LOBNIG
CEMENT GARDENS Kunsthalle Exnergasse, Wien

2003
















Iris Andraschek und Hubert Lobnig

CEMENT GARDENS über das Leben in Häusern und Gärten

KUNSTHALLE EXNERGASSE | WUK
18. September – 18. Oktober 2003

Tujenhecken – Gartenzwerge – Fertigteil-Gartenschuppen – Waschbetonplatten – gepflegter Rasen (und dergleichen): Es sind nicht jene standardisierten Grün- idyllen, deren Ausstattung sich vielfach mit dem Angebot der Bauhäuser und -märkte deckt, die Iris Andraschek künstlerisch zu bannen versucht. Und eben- sowenig zeichnet Hubert Lobnig in seiner Malerei und den Videoporträts ein Bild durchschnittlich-repräsentativer Wohnästhetik. Vielmehr versuchen sie in ihrer künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Leben in Häusern und Gärten, tiefer geschichtete gesellschaftspolitische Verhältnisse, die sich an diesen „Oberflächen“ manifestieren, zu erforschen, sichtbar zu machen und alternative Modelle dazu ins Blickfeld zu rücken.
Resultierend aus einer kritischen Beobachtung der von Konsumindustrie und Gesellschaft vorgegebenen und -geprägten Normierung von Wohnen, Lifestyle und einem zunehmend oberflächlich dekorativen Begriff von Natur ist es ihr Interesse, diese Uniformität anhand sehr unterschiedlicher, individuell geprägter Lebensentwürfe aufzubrechen und die Selbstverständlichkeit eben dieser Norm zu hinterfragen. Reality Facts wie Baugesetze, Trends, Besitzrecht, Ökonomie und Markt bilden dafür einen ebenso bedeutenden Hintergrund wie die jeweilige Biographie der porträtierten Personen sowie deren Wünsche, Vorstellungen und ideologische Haltung.
Die Fotografien, Videos, Malereien drehen sich also keineswegs nur um den Garten an sich, die darin gezogenen Pflanzen, respektive das Haus als gebaute Architektur; diese sind viel eher die Matrix, eine metaphorische Ebene anhand derer in den Erzählungen und Subtexten Fragen wie Konformität versus Individualität, gesellschaftliche Akzeptanz, Alltagsrealität versus romantische Verunklärung, privater und öffentlicher Raum aufgeworfen und beschreibbar gemacht werden. Diese „Erlebnisräume“ transformieren sich so zu Erzähl- räumen, die auf eine breitere soziopolitische Relevanz und Kontextualisierung verweisen.
Der Verein Arche Noah, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Artenvielfalt von Pflanzen zu erhalten und fördern, indem selten gewordene Samen und Setzlinge gehandelt und getauscht und das nötige Wissen für die richtige Pflege weitergegeben wird, war für Iris Andraschek eine wichtige Anlaufstelle, um mit Leuten in Kontakt zu treten, deren Gärten etwas „Besonderes“ haben. Oder, genauer gesagt: für die, beruflich oder privat, professionell oder als Hobby der Garten / die Landwirtschaft, der Umgang mit der Pflanzenwelt ein Mittel ist, persönliche Ziele oder Lebenseinstellungen jenseits gesellschaftlicher Vorgaben zu verwirklichen.
In ausführlichen Gesprächen versucht die Künstlerin, die jeweilige Motivation der ProtagonistInnen für deren Beschäftigung mit Natur zu erfahren und porträtiert sie in den von ihnen angelegten Gärten. Sie lässt dabei viel- schichtige Verschränkungen und Verwebungen zu, oder besser: sie führt in den verschiedenen Medien diese Schichtungen von Text und Bild, von unter- schiedlichen Biographien, von Innen- und Außenwelten bewusst herbei. Andere Lesarten und Interpretationsmöglichkeiten sollen dadurch provoziert werden. So zum Beispiel, wenn sie die Porträts von GartenbauschülerInnen mit Textzitaten aus dem Buch „Cement Gardens“ zusammenbringt. Die Art und Weise, wie sich diese vor der Kamera präsentieren, die Atmosphäre, die hier festgehalten ist, ist wiederum nicht unähnlich jener, die in einer Porträtserie von kanadischen Jugendlichen in einer beinahe unberührten Wildnis mitschwingt: ein Gefühl der Verlorenheit und Distanz ist spürbar, die für die Pubertät, den Prozess der Selbstfindung in diesem Lebensalter wohl charakteristisch ist.

In verschiedensten Beispielen wird der Garten als sozialer, politisch motivierter Handlungsraum „zitiert“: Christian Schmutz bot die Beschäftigung mit exotischen Pflanzen und der Versuch, diese hier ansässig zu machen, eine Identifikationsmöglichkeit einerseits; ehemals ein „Aussenseiter“, war der Garten für ihn zugleich ein Anknüpfungspunkt innerhalb der Dorfgemeinschaft. Sein Berufsweg führte ihn von einem der Idee der Selbstversorgung verdankten Gartenbau über die professionelle Gärtnerei schliesslich in das soziale Berufsfeld der Jugendausbildung in einer Gartenbauschule.
Die Bildsprache – oft verzaubert, entrückt, immer sehr persönlich – richtet den Blick auf die dargestellte Person und dem Bild dieser Person von sich; dabei erfährt die „Erzählung“ einen Schwenk, der von einem Realporträt weg hin zu inneren Sichtweisen führt. Unerwartetes wie beispielsweise der spontane Rollentausch zwischen dem Gärtner und seiner Freundin ist durchaus möglich. Kollektive Erfahrungen wie Selbstfindung oder Identitätssuche, aber auch der vielfach gehegte Wunsch nach anderen Lebenskonzepten – möglichen, unmöglichen, ersehnten, (realisierten) – werden thematisiert und transformiert.


Für Hubert Lobnig nimmt das Haus als Verkörperung von Lebenshaltungen und gesellschaftlichen Prägungen eine dem Garten in Iris Andrascheks Werk vergleichbare Funktion ein. Anhand der Gestaltung von Fassaden, der Bauweise und der Form der Einrichtung und des Bewohnens eines Hauses lassen sich in den Videoporträts unterschiedliche Subtexte lesen. So ist die in Kanada und den USA verbreitete und im Vergleich zur Situation in Österreich „leichte“ Bauweise – also der Einsatz billigerer, qualitativ schlechterer Materialien von kürzerer Lebensdauer – auf ein anderes Besitz- und Baurecht zurückzuführen, was eine wesentlich höhere Mobilität der dort lebenden Menschen zur Folge hat: Bekanntlich ist die Bereitschaft, aufgrund privater, beruflicher oder sonstiger Gegebenheiten in ein neues Haus zu ziehen, in Nordamerika um ein vielfaches höher als hierzulande. Die heimische Bauweise ist vergleichsweise für die Ewigkeit gedacht, wo ein Haus von Generation zu Generation weitervererbt wird, eine Familie sich quasi in den Besitz und Boden einschreibt.
Ein temporäres Modell steht hier einem dauerhaften gegenüber, die gesellschaftspolitische Manifestation hat hier wie dort eine andere Gewichtung. Überhaupt geht es dem Künstler um das Herausfiltern von unterschiedlichen Ansätzen, Lebenskonzepten, die sich im Hausbau manifestieren: offene versus geschlossene Systeme, Privatsphäre und öffentlicher Raum, der Begriff des Prozesshaften versus dem des Abgeschlossenen usw. Aspekten des Wohnens wie jene der Funktions- vermischung, also der Überschneidung von Wohn- und Arbeitsräumen, des Identitäten - mixes – biographische Patchworks, die sich anhand der Möblierung und kleinen Wandgalerien erfassen lassen – sowie der Improvisation, dem Iprovisierten schenkt der Künstler besondere Aufmerksamkeit, sowohl in den Videoporträts als auch in den pastellig zart gemalten Interieurs.
Die Suberzählungen der Interviews sind eigentlich das Wesentliche: Mit hoher Sensibilität sind die BewohnerInnen der Häuser dargestellt, ihre Biographien, ihre Psychologie – die Wünsche, die sie hegen und die Zwänge, denen sie unterworfen sind – wird nachvollziehbar. Die Frage nach den individuellen Wünschen und deren Erfüllung zieht sich wie ein Grundtenor durch alle Videointerviews. Anhand dieses Begriffspaars kann der Künstler verschiedene Erkenntnisse gewinnen: In vielen Fällen klaffen die ehemaligen Wunschvorstellungen der HausbesitzerInnen mit der nun gegebenen realen Situation weit auseinander, auch wenn diese Brüche von den ErzählerInnen nicht unbedingt als solche empfunden werden.
Im Laufe des Haus-Bauens werden häufig Kompromisse geschlossen, sei es aus finanziellen Gründen, Pragmatismus, sei es aus einem Verfangensein in gesellschaftlichen Normen. Der Zwang, Konventionen entsprechen zu müssen, herrscht hier vor und äussert sich an den Bruchstellen von Wunsch und Realität.
Auf der anderen Seite ist das house-in-progress, die ewige Baustelle Teil des Konzepts. Diesem liegt ein offenes System zugrunde, dessen Qualität es mitunter ist, flexibel gestalten zu können, sie mit Phantasie den Gegebenheiten anzupassen, Scheitern in Kauf zu nehmen und dadurch ein Mehr an Handlungsspielraum zu erlangen. Der mit seinem Haus „Lilliput“ porträtierte Auswanderer Peter von Zezschwitz kann hier beispielhaft genannt werden: Bauen ist hier als ein steter Fluss begriffen, ein veränderlicher Prozess; verwendet wird, was er auf den junk yards findet – Brauchbares, das von der Gesellschaft ausgelesen wurde; die eigentliche Qualität des Hauses ist für Peter von Zezschwitz nicht die dauer- hafte Manifestation, sondern die Möglichkeit oder die Vorstellung alleine, danach etwas anderes zu beginnen.
Diese der Konsumgesellschaft gegenüber durchaus kritische, man könnte auch sagen: entspanntere Haltung manifestiert sich allerdings nicht nur in der Bauweise, sondern darüberhinaus in erweiterten Begriffen der Familie und des Privatraums. In mehreren Videos wird deutlich, auf welch unterschiedliche Arten die ProtagonistInnen ihre Privaträume öffnen; sei es, dass ein „Kaffeehaus“-Schild an der Eingangstüre zur Parterrewohnung dazu führt, dass diese tatsächlich zum öffentlichen Raum wird, wo der Hausherr Herein- kommende bedient; sei es, dass Wohn- und Arbeitsräume temporär anderen Menschen zur Verfügung gestellt werden. Begriffe wie Besitz und Bedarf erfahren in diesen Prozessen eine neue Interpretation. Die Erzählungen vom Wohnen, von der Familie und dem Kreislauf des Bewohnens eines Hauses, von Vorhaben – nimmerendendwollenden –, von den Mühsalen und Freuden der Gartenpflege sowie vom (täglichen) Scheitern, die – Dank einer Portion Selbstironie und Überzeugung – münden allerdings nicht in Resignation. Viel bestimmender scheint ein utopisches „Alles ist möglich“ durchzuklingen– womit auch schon die Spannungsbreite zwischen den Polen Idylle und Utopie beschrieben wäre.

Text: Jeanette Pacher



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