HUBERT LOBNIG
GEMEINSAM SIND WIR MINDESTENS SIEBEN Portfolio Kunst AG, Linz

1996










Gemeinsam sind wir mindestens sieben
Zur Ausstellung von Hubert Lobnig

Portfolio Kunst AG, Linz

Vorgeschichte:

Ein Künstler produziert über mehrere Jahre. Das Resultat ist eine Anhäufung von Arbeiten, von mehr oder weniger Qualität. Manches wurde im Laufe der Zeit bereits an anderen Orten gezeigt, einige Werke haben hingegen nie das Licht der Öffentlichkeit erblickt, vielleicht, weil sie für den Künstler selbst nicht wirklich überzeugend waren, oder sich einfach keine Gelegenheit geboten hat. Irgendwann taucht die Idee auf, das gesamte Material der letzten Jahre wieder hervorzuholen.

Die Portfolio-Galerie in Linz hat Hubert Lobnig eine Ausstellung angeboten. Der Künstler entschied sich jedoch weder für eine Anzahl von neu zu gestaltenden Arbeiten, noch für eine Retrospektive im Sinne einer rückblickenden Werkschau. Er nahm sich seiner Bilder an und strukturierte das gesamte Material neu. Sein Beitrag erstreckt sich also auf die Ausstellung als solche - seine künstlerische Setzung IST die Ausstellung selbst.

Ich bin im Laufe meiner Überlegungen zu Hubert Lobnigs Arbeit auf zwei Begriffe gestoßen, die mir in Bezug auf sein Projekt interessant erscheinen: VORURTEIL und APPLIKATION - Begriffe aus der Hermeneutik. Der Leser /die Leserin wäre kein passiv Aufnehmender, sondern es fließen bereits vorhandene Vorstellungen - eine Fülle an Vorwissen - in die Auseinandersetzung (mit dem Text) ein. Verstehen bedeute immer auch eine Anwendung des zu verstehenden Textes auf die gegenwärtige Situation des Interpreten hin.

Dies kann auf Hubert Lobnigs übertragen werden. Ausstellungsmacher/innen -egal ob Künstler/in oder Kurator/in- interpretieren die jeweiligen Werke, allein aufgrund der Zusammenhänge, in die sie die Werke hineinstellen. Die Perspektive, aus der man einen Gegenstand betrachtet, entscheidet letztlich über seine Deutung. Hubert Lobnig nutzt diesen Mechanismus der Rezeption und macht ihn zur Grundlage seiner Arbeit. Er sichtete das Material und entwickelte - entlang bestimmter Fragestellungen, die ihn im Laufe der Zeit beschäftigt haben - eine neue Ordnung. Es ist jedoch sein heutiger Blickpunkt, der entscheidet, in welches Umfeld er das jeweilige Werk rückt. Das Wissen über die eigene Entwicklung der letzten Jahre führte durchaus zur Korrektur einstiger Vorstellungen. Fast zwangsläufig kommt es zu Ordnungen, die damals zwar nicht vorhanden waren, aber heute den einen oder anderen Aspekt erhellen. So gibt es Vorläufer und Nachzügler einer Werkgruppe: Ein frühes "Dschungelbild" rückt auf diese Weise in die Nähe seiner späteren, Reisebilder oder Landschaftsfotos werden in die Reihe der Oberflächenstrukturen integriert. So werden quer durch das ganze Oeuvre Bezüge hergestellt, die man spielerisch nachvollziehen oder verwerfen kann.

Durchgängig findet sich ein Interesse an (Oberflächen‑)Strukturen. Von den Frottagen, den wissenschaftlichen Strukturmodellen bis hin zu den ornamental aufgeladenen Interieurs reicht die Bandbreite des Werks von Hubert Lobnig. Der Künstler versteht Struktur allerdings nicht im Sinne eines Baugerüsts, eines Skeletts, sondern eher im Sinne eines Musters. Besonders deutlich zeigt sich dieses Moment in den Interieurs: Lobnig operiert hier mit einer Spannung, die sich zwischen der politischen Dimension und dem ornamentalen Reichtum des Gemalten aufbaut. Die Wohnungen ärmerer Ausländer -selbst schon durch Üppigkeit der Ausstattung und des Dekors gekennzeichnet- werden in einem zweiten Schritt nochmals ornamentalisiert und ästhetisiert. Ein weiterer Bereich seines Werks ist dem Privaten gewidmet. Tagebucheintragungen ähnlich wird hier einer bestimmten Befindlichkeit nachgegangen. Die Schnittstelle von subjektiven Eindrücken und der gesellschaftlichen Prägung der Künstlerperson wird in den Arbeiten als unbewältigter Konflikt thematisiert.

Hubert Lobnig fragt in dieser Ausstellung nach seiner eigenen Geschichte, seiner Geschichte als Künstler, die sich im Nachhinein als Konstruktion entpuppt, getreu der Einsicht, daß der, der die Geschichte schreibt (hängt), sie auch produziert.

Barbara Steiner


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